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Seele im 18. Jahrhundert

Es ist klar, dass die Kirche im Begriff der immateriellen, unsterblichen Seele eines ihrer zentralen ideologischen Konzepte sieht. Die Seele, eine Art Luftikus, ist viel leichter, wichtiger, viel höher als alles Körperliche. Wenn wir krank sind, Hunger leiden, Schmerzen empfinden: was soll's? Wir werden uns doch nicht auf unseren Körper reduzieren, wir höheren Wesen mit unserer Seele, die uns Menschen (nur die getauften) nach dem Tod, wie seit jeher bekannt, direkt ins Himmelreich befördert. Den Seelenbegriff zieht sie heran, um das Verbot der Abtreibung eines jeden, noch so missgestalteten Fötus zu begründen, um ihre Folterungen als Seelenrettungsaktion zu rechtfertigen usw. usf.

Der Artikel durfte in Voltaires Wörterbuch nicht fehlen, das Thema war aber gefährlich, er betrat gewissermaßen vermintes Gebiet. Sein Vorläufer war natürlich René Descartes.

Descartes, der von 1596 bis 1650 lebte, stellte dem Luftikus, der Seele, einen bedeutenden, bereits in der Antike hochgeschätzten Gegenspieler zur Seite: den Körper. Nach den von ihm publizierten großen Fortschritten der Renaissance in der Anatomie (Vesalius), die alle gegen die Kirche erkämpft wurden, war ihm bewusst, dass nichts Geistiges, Seelisches ohne eine materielle Basis existieren kann, auch wenn er den Spruch prägte: "Ich denke, also bin ich". Daher suchte er auch nach einem Ort, der die Seele in unserem Körper beherbergen ķönnte und er fand ihn in der Zirbeldrüse. Immerhin: im Gehirn - viele, die sich bis heute darüber lustig machen, haben den Sinn der Sache nicht vestanden und wollen ihn nicht verstehen. Dass er die Seele für unsterblich hielt, also doch wieder immateriell, mag als Anpassung an die Inquisition gewertet werden. Es hat ihm nichts genützt: sein Hauptwerk, den "Traité de l'homme" konnte er zeitlebens nicht veröffentlichen und 1663 setzte der Vatikan die Werke Descartes auf die Liste der verbotenen Bücher.

John Toland  befasste sich mit der Seele 1704 in seinen 'Philosophischen Briefen (über die Unsterblichkeit der Seele), die d'Holbach 1768 ins Französische übersetzte und La Mettrie in seiner 1745 erschienen 'Naturgeschichte der Seele'.

Sehr nahe bei Voltaire ist d'Holbach in seiner 'Taschenthéologie' (Théologie portative 1768). Er schrieb über die Seele (Art. Âme): "Unbekannte Substanz, die in unserem Körper, den wir kaum kennen,  auf eine unbekannte Weise wirkt, woraus wir schlussfolgern müssen, dass sie geistiger Natur sei, wo doch niemand nicht weiß, was geistig zu sein bedeutet. Die Seele ist der edelste Teil des Menschen, auch wenn es derjenige ist, den wir am wenigsten kennen. Die Tiere haben keine Seelen, oder wenigstens nur materielle, die Priester und die Mönche haben spirituelle Seelen, aber einige unter ihnen sind so boshaft, sie nie zu zeigen. Sie machen das zweifellos aus purer Bescheidenheit."

Ich möchte, was die folgende Diskussion bis in das 19. Jahrhundert angeht, den Text von Ernst Haeckel: Das Wesen der Seele (Die Welträtsel, Kapitel 6) empfehlen. Man sieht, dass die Seele zu ergründen nicht ganz so unmöglich ist, wie Voltaire das zu behaupten scheint.

Um das Bild der Seele im 18.Jhdt. und die zu diesem Begriff geführten Diskussionen als Hintergrund des Artikels "Ame" in Voltaires Dictionnaire philosophique  noch weiter auszuleuchten, knüpfe ich ebenfalls dei Descartes an, der seine Ansichten über den Beweis der Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele 1641 in den Meditationes dargelegt hatte und aber auch den bis dahin (ausgenommen die Antike) bestehenden theologisch geprägten Begriff der Seele um die Bereiche des Denkens undVerstandes erweiterte.Neben Malebranche befaßte sich mit den Grundzügen der Debatte aber auch Pierre Bayle, der mit seinem"historischen und kritischen Wörterbuch" von 1697 die Initialzündung für eine noch kritischere Auseinandersetzung lieferte.Zusätzlich wirksam waren in Frankreich auch die Schriften von John Locke, der Empirismus und die Einteilung der Wahrnehmung in Reflektion und Sensation  einbrachte. Die Sache  wurde  schon wissenschaftlicher.....

und die Seele wurde u.a. Gegenstand in

La Mettrie     Naturgeschichte der Seele                                                                                  1745

Condillac        Über den Ursprung der mensclichen Erkenntnis                                          1746

Yvon                 Artikel "Seele"in Band 1 der Encyclopedie /dict. raisonne                          1751/52

Condillac          Über die Empfindungen                                                                                      1754

Diderot               Artikel "Empfindungen" in Band 8 der Encyclopedie/dict.rais.                 1765

D Alemberts Traum                                                                                               1769

 

In  dieser Vielschichtigkeit der Ansichten und Erkenntnisse kommt Voltaire im dict.phil.  vor dem Hintergrund theol.-philosophischer und naturwissenschaftlicher Debatten zu der Frage "Wie kommen wir also zu unseren vermessenen Behauptungen über die Seele ?"-"Wir wissen mit Sicherheit, daß wir existieren,empfinden und denken. Wollen wir darüber hinausgehen?"

Voltaire hat sich gegen die theologische oder philosophische Spekulation entschieden und der wissenschaftlichen Erkundung das Terrain überlassen. Und die dauert noch immer an.......  .

 

 

Die Seele in der ENCYCLOPEDIE und  bei Diderot

Anstatt den überlangen Artikel  "Ame"(Claude Yvon)aus Band 1 der Encyclopedie ou dictionnaire raisonné  von Diderot/dAlembert(1751) hier wiederzugeben, wird die kurze Zusammenfassung zitiert, die Diderot an das Ende seines Artikels"Immaterialisme ou spiritualité"gesetzt hat :

"Konsultieren Sie auch denArtikel Seele. Da legen wir im Interesse der Vernunft und mit einigen Geistesblitzen guter Philosophie  den Beweis vor, daß man außer den materiellen Substanzen auch ausschließlich spirituelle Substanzen annehmen muß, die sich von den anderen wirklich unterscheiden.Wir wissen allerdings nicht ,was diese zweierlei Substanzen eigentlich sind und wie sie sich miteinander vereinigen können, wenn ihre Besonderheiten sich auf die kleine Zahl derjenigen beschränken, die wir kennen.Gerade das läßt sich eben nicht entscheiden, weil wir nicht die kleinste Ahnung haben, worin die Wesenheit der Materie überhaupt besteht und was die Körper an sich sind. Die Philosophen  der Neuzeit sind dabei zwar schon etwas weiter vorangekommen,als die des Altertums, aber wieviel weiter müssen sie noch kommen!" (Encyclopedie Band 8 der 3.Ausg.,Livorno 1773, S 522 Spalte links)

Diderot selbst hatte seine Vorstellung zur Seele, zu Verstand und Empfindungen beginnend mit seinen "philos.Gedanken" und dem "Brief über die Blinden" beständig fortentwickelt. Von  den "Pensées philosophiques" ist bekannt, daß Voltaire sie gelesen hat.In seiner Ausgabe von 1746 hat Voltaire einige Randnotizen hinterlassen und in "lettre sur les aveugles"  findet sich zu ;

:"Der Deist betrachtet die Existenz Gottes, die Unsterblichkeit der Seele und ihre Folgen als gesichert; der Skeptiker ist in dieser Hinsicht unentschieden, der Atheist verneint sie."

die Randbemerkung Voltaires:

"Viele Deisten erkennen die Unsterblichkeit der Seele nicht an". (Notes marginales de Voltaire Bd, 3 S 137)Voltaire hat an dieser frühen Schrift Diderots großen Gefallen gefunden, die die Hinwendung Diderots zu einer sensualistischen und materialistischen Haltung in Anlehnung an John  Locke und unter dem Einfluß der Schriften von Buffon vollzogen hat.

 

Die Überlegungen Diderots gipfeln in 3 Schriften:"Gespräch zwischen dAlembert und Diderot", "D Alemberts Traum " und"Fortsetzung des Gesprächs".

Im ersten legt Diderot die Begründung für seine Ideen über die Entwicklung des organischen Lebens dar.D Alemberts Traum befaßt sich mit den Gedanken des Träumers über die Veränderungen der Materie, die sich bis zum Menschen hin entwickelt(eine Art Vorweg-Evolutionstheorie). Das dritte Gespräch zieht die Schlüsse aus den beiden ersten, die für die menschliche Moral bedeutsam sind.

In diesen Werken werden dargestellt: das aktive und passive Empfindungsvermögen der Materie und ihre Fähigkeit, Leben hervorzubringen( duch chem.physik. Prozesse entwickelt sich ein Organismus aus der ursprünglich unbelebten Materie). im Werden und Vergehen des Lebens erkennt Diderot einen  permanenten natürlichen Kreislauf zwischen Materie und  Organismen.

Den Schöpfer oder den göttlichen Finger braucht es nicht mehr.