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Die Religion im 18. Jahrhundert

Noch stand Europa im Zeichen des französischen Absolutismus, der Frühform des Nationalstaates. Der Religion fiel dabei die wichtige Aufgabe zu, den  König als von Gott gesandten Herrscher zu rechtfertigen. Wenn Voltaire im Artikel 'Réligion' sagt: "Die alte Regel war, dass es besser sei, Gott zu gehorchen als den Menschen; die entgegengesetzte Regel wurde anerkannt, dass man nämlich Gott gehorcht, wenn man die Gesetze des Staates befolgt"  (PhilW, 390), meint er genau dies: die weltliche Herrschaft sichert ihre Macht mit Hilfe der Religion. Wer also den Staat kritisierte, kritisierte gleichermaßen die Religion und beging - gewissermaßen - Gotteslästerung; und umgekehrt: wer die Religion kritisierte, kritisierte den Staat.
Dem entsprechend groß war die Bedeutung des königlichen Beichtvaters, ein Posten, den die Jesuiten mit ihren Leuten besetzten und der ihnen erheblichen Einfluß auf die Politik bescherte, ganz besonders, wenn der König selbst religiös war. Und das war zumindest Ludwig XIV. in seinen letzten Lebensjahren ohne Zweifel. So kam es zur Aufkündigung des 'Burgfriedens' zwischen Katholiken und Protestanten (Aufhebung des Edikts von Nantes 1685) und der massiven Verfolgung der Hugenotten, vor allem in Südfrankreich. Das Engagement Voltaires in den Fällen der religiösen Terrorurteile gegen Jean Calas, die Familie Sirven und gegen den Chevalier de La Barre muss man vor diesem Hintergrund sehen.

Auf der anderen Seite entstanden in der gleichen Zeit die ersten ernsthaften atheistischen Schriften, die sich, indem sie die Vorstellung einer göttlichen Weltordnung ablehnten, massiver Strafverfolgung aussetzten, daher meist anonym veröffentlicht werden mussten, oder nur als Handschriften, oft erst nach dem Tod der Verfasser herausgeben werden konnten. Auch wer solche Texte besaß, machte sich strafbar. Weil die atheistischen Schriftsteller mit ihrer Ablehnung von Gott die Kirche und die Legitimität des Absolutismus  gleichzeitig in Frage stellten, war jeder, der positiv auf sie Bezug nahm, ein potentieller Staatsfeind.

Voltaire achtete sehr sorgfältig darauf, nicht mit ihnen in einen Topf geworfen zu werden. Zwar gab er einen Auszug aus dem Testament des Abbé Meslier heraus, gestaltete ihn aber so, dass darin nichts Atheistisches mehr vorkam. Er grenzte sich gegen Helvétius 'De l'Ésprit' und  d'Holbachs 'Système de la Nature' ebenso ab, wie gegen La Mettries 'L'homme machine'. Er unterstützte die Enzyklopädie gegen ein Publikationsverbot und organiserte ein Stipendium für Diderot von Katherina der Großen von Russland, schrieb aber gegen dessen Schrift 'Lettre sur les aveugles à l'usage à ceux qui voient'. Als der im 16. Jahrhundert von Jacques Gruet (26.7.1545 in Genf wegen Gotteslästerung hingerichtet) verfasste, bedeutende antiklerikale Text 'De Tribus Impostoribus', der sich gegen die Gründerfiguren (Mose, Christus, Mohammed) der drei Offenbarungsreligionen  richtete, unter dem Titel 'Traité des trois Imposteurs' wieder auftauchte und man Voltaire verdächtigte, dessen Autor zu sein, startete er einen massiven Angriff auf diese, eigentlich ganz in seinem Sinne argumentierende Schrift (Épître à l’auteur du nouveau livre: Des Trois Imposteurs).