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Nicht alle Armen sind unglücklich - Tous les opprimés ne sont pas malheureux

Il est impossible dans notre malheureux globe que les hommes vivant en société ne soient pas divisés en deux classes: l’une, d'oppresseurs qui commandent; l’autre, d'opprimés qui servent; et ces deux se subdivisent en mille, et ces mille ont encore des nuances différentes. Tous les opprimés ne sont pas malheureux. La plupart sont nés dans cet état et ne sont pas absolument malheureux. La plupart sont nés dans cet état, et le travail continuel les empêche de trop sentir leur situation; mais quand ils la sentent, alors on voit des guerres, comme celle du parti populaire contre le parti du sénat à Rome, celles des paysans en Allemagne, en Angleterre, en France.

(Angelika Oppenheimer, reclam Sept.2020) Nicht alle Armen sind ganz und gar unglücklich. Die meisten wurden in diesen Stand hineingeboren. Und die ständige Arbeit hindert sie daran, ihre Lage allzu deutlich zu erkennen; wenn sie dies aber tun, dann kommt es zu Kriegen, sowie in Rom dem der Volkspartei gegen den Senat; oder die Bauernkriege in Deutschland, England und Frankreich.

(Angelika Oppenheimer, Jan.2021) Nicht alle Unterdrückten sind ganz und gar unglücklich. Die meisten wurden in diesen Stand hineingeboren. Und die ständige Arbeit hindert sie daran, ihre Lage allzu deutlich zu erkennen.

Kommentar (Rainer Neuhaus): Dass bei Voltaire hier die Armen als Klasse gemeint sind, ergibt sich aus dem zweiten Satz 'in diesen Stand hineingeboren' - das würde man von Unterdrückten nicht sagen - es gibt keinen Stand der Unterdrückten. Auch die Korrektur, die Voltaire später an dieser Stelle vorgenommen hat, zeigt dies deutlich: Ab 1765 heißt es bei ihm an dieser Stelle durchgehend statt opprimés: pauvres und statt oppresseurs: riches.

Alternativen:

o (C.A.Fischer, 1793): Wie? Alle Armen wären unglücklich? Das wollte Gott nicht! Nicht einmahl die meisten! Sie sind ja von Kindheit auf in keiner besseren Lage und vergessen bey immerwährender Arbeit leicht das drückende derselben. Aber wenn sie es einmal fühlen? Nun! so erinnert euch an die Bauerkriege in Deutschland, England und Frankreich.
[Das war in Revolutionszeiten geschrieben -  Fischer fügte noch eine Anmerkung hinzu: "Der vorzugsweise so genannte Bauernkrieg im Jahre 1525 war im Grunde nichts anderes, als ein riesiger Schrey der von Edelleuten und Prassern gedrückten Menschheit, die sich nach vielfachen demüthigenden Vorstellungen nichts anders, als durch eine schrekliche Explosion zu helfen wusste, was hernach freylich ihre geistigen und weltlichen Tyrannen Rebellion und Aufruhr nannten".]

o (Winckler 1890): Nicht alle Dienenden sind schlechthin unglücklich. Die meisten sind in diesem Stand geboren, und die beständige Arbeit lässt sie nicht dazu kommen, ihre Lage allzu sehr zu fühlen.

o (Noack 1964): Nicht alle Armen sind unglücklich. Die meisten werden in diesem Zustand geboren, und die ständige Arbeit verhindert, dass sie sich ihrer Lage allzu deutlich bewusst werden.

o (U.F. Müller 1985): Nun sind nicht schlechterdings alle armen Leute unglücklich. Die meisten sind in ihren Stand geboren, und die unablässige Arbeit hindert sie daran, sich ihre Lage wirklich klar zu machen.

Bei der Diskussion sollte m.E. nicht bei der Übersetzung der EA von 1764  auf Inhalte späterer Ausgaben Bezug genommen werden- so als hätte Voltaire

1764 noch nicht gewußt, was er zu diesem Zeitpunkt  sagen wollte. Wir verändern uns alle und ständig und müssen ja auch dazu stehen, daß wir Dinge mit der

Zeit anders beurteilen. W

Zudem, wenn man als einziges Kriterium für die Zugehörigkeit zum unterdrückenden feudalen Adel die Geburt ansehen muß, was spricht dann dagegen,

den nicht hierzu gehörenden anderen Geborenen den Status des unterdrückten Nicht-adligen ab Geburt zuzuweisen ?